[Es gilt das gesprochene Wort.]
Liebe Freundinnen und Freunde, liebe Genossinnen und Genossen!
Ich freue mich, Euch heute auf unserer ersten Gesamtmitgliederversammlung im Wahljahr 2013 zu sehen. Ich freue mich auch über die anwesenden Vertreter der Presse!
Es ist kein Geheimnis: Wir treffen uns heute nicht nur, um den Bundestagswahlkampf für die Wittenberger LINKE einzuläuten. Sondern es ist Zeit, heute auch unseren Direktkandidaten für den Wahlkreis 70 der Vertreterversammlung vorzuschlagen. Hierfür werfe ich meinen Hut in den Ring: Ich möchte gern dieser LINKE Direktkandidat sein.
Zu meiner Person möchte ich für jene, die mich noch nicht kennen, kurz ein paar Stichpunkte nennen: Ich bin 41 Jahre alt und seit mehr als 13 Jahren als Rechtsanwalt in Wittenberg tätig. Seit 2005 bin ich Mitglied der PDS und nunmehr der LINKEN und war bereits zur letzten Bundestagswahl 2009 Direktkandidat für unsere Partei in diesem Wahlkreis. Mit 30,5% war ich damals Zweitplatzierter hinter dem CDU-Bewerber Ulrich Petzold.
Ich meine: In den Jahren, die Ulrich Petzold seitdem als Bundestagsabgeordneter in Berlin tätig war, hat er die sozialen Interessen der Menschen schlecht vertreten.
Über Meinungen lässt sich bekanntlich lang streiten, aber die Fakten sprechen für sich: Am 14.07.2007 – noch in der alten Legislaturperiode – stimmte Ulrich Petzold namentlich dagegen, einen Mindestlohn in Deutschland einzuführen und für die Rentenabschläge bei Langzeiterwerbslosen, und am 13.04.2011 – in dieser Legislaturperiode – nochmals gegen den Mindestlohn. Am 16.03.2010 stimmte Petzold gegen die Erhöhung der Hartz-IV-Regelsätze. Und das, obwohl im Februar 2010, also einen Monat zuvor, das Bundesverfassungsgericht festgestellt hatte, dass die Regelsätze falsch berechnet wurden. Folgend, nachdem sich CDU, FDP und SPD unter dem Druck dieses Urteils auf eine kümmerliche Erhöhung von 5,- Euro geeinigt hatten, stimmte Ulrich Petzold nochmals namentlich am 25.02.2011 gegen eine Erhöhung der Hartz-IV-Sätze auf existenzsicherndes Niveau. Am 12.11.2010 stimmte Ulrich Petzold gegen den Antrag der LINKEN, die unseligen Zusatzbeiträge der Krankenkassen abzuschaffen. In namentlicher Abstimmung am 03.12.2010 stimmte Ulrich Petzold dagegen, wenigstens für Behinderte die Regelbeträge neu gesetzeskonform zu ermitteln. Und am 26.05.2011 stimmte Ulrich Petzold – nach mehr als 20 Jahren Deutsche Einheit – namentlich gegen die Angleichung der Ost- an die Westrenten. Wir können dafür jedoch in der Mitteldeutschen Zeitung vom 13.01. lesen, dass Ulrich Petzold stolz darauf ist, der Rente erst ab 67 zugestimmt zu haben – tatsächlich: zuletzt stimmt Ulrich Petzold namentlich am 15.12.2011 dafür. Das sind alles Beschlüsse, die die Einkommenslage vieler Menschen in unserem Kreis ganz praktisch nicht verbessert oder eben sogar direkt verschlechtert haben. Das nenne ich schlechte Interessenvertretung.
Nur der Vollständigkeit halber folgender Fakt: Seit 2009 stimmte Ulrich Petzold stets für die Verlängerung des Afghanistan-Einsatzes und am 10.06.2010 auch für die Verlängerung des nach ganz herrschender Rechtsmeinung völkerrechtswidrigen KFOR-Einsatzes im Kosovo. Ja, so deutlich muss man es sagen: letztendlich werden so junge Menschen auch aus unserer Region potenziell in den Tod irgendwo da, wo sie eigentlich nichts verloren haben, geschickt. Auch das nenne ich schlechte Interessenvertretung.
Wenn Ulrich Petzold dann auch noch meint, – zu lesen ebenfalls in der MZ – weil er der Rente erst ab 67 zugestimmt habe, sollte ihn konsequenterweise die Bevölkerung jetzt auch als 61-Jährigen nochmals in den Bundestag wählen, ist das entweder ein besonders schlechter Kalauer oder aber zynisch: Wer den Unterschied nicht sieht zwischen einem 61-Jährigen, der 40 Jahre auf dem Bau gearbeitet hat, oder jemand, der in diesem Alter keinen angemessenen Job mehr finden kann und einem Bundestagsabgeordneten, dem kann ich jedenfalls nicht mehr helfen. Ich denke: Im ersten Schritt schicken wir Wittenberger Ulrich Petzold in Frührente und folgend schaffen wir im Bundestag die Rente erst ab 67 für alle wieder ab.
Das schaffen wir aber nur mit anderen Mehrheiten im Bundestag und einem linken direkt gewählten Bundestagsabgeordneten. Deshalb sage ich hier ganz eindeutig: Das möchte ich sein. Wir bauen in unserem Wahlkreis auf 30,5% aus 2009 auf. Wir spielen in diesem Wahlkreis auf Sieg, nicht auf Platz!
Für welche Anliegen möchte ich mich als Bundestagsabgeordneter dieses Wahlkreises besonders einsetzen?
Einige Punkte habe ich bereits genannt: Mit mir wird es keine Zustimmung zu Sozialabbau geben, es wird keine Ja-Stimme für Kriegseinsätze im Ausland geben. Hier unterscheiden sich die Interessen vieler Wählerinnen und Wähler kein Deut von denen in anderen Regionen. Niemand – offenbar abgesehen vom derzeitigen MdB unserer Region – will erst zwei Jahre später abschlagsfrei Rente erhalten. Niemand will dauerhaft von Hartz-IV leben – einem Betrag, von dem man auf lange Sicht weder richtig leben noch sterben kann. – Kleine Anmerkung: Es herrschen allerdings in der Bevölkerung durchaus Mythen über angeblich faule Hartz-IV-Empfänger. Damit müssen auch wir uns als Partei aktiv auseinandersetzen. Aus meiner beruflichen Erfahrung heraus kann ich sagen: Das ist eine verschwindende Anzahl, aber statt dessen gibt es viele Fälle von unverschuldeter Not, von wiehernden Bürokratie-Amtsschimmeln, von Schikane – etwa jüngst ein Fall aus diesem Monat, bei dem ich mich als Anwalt dagegen wende, dass einem Hartz-IV-Empfänger wöchentlich persönlich beim Jobcenter seinen wochenanteiligen Hartz-IV-Regelsatz abholen soll – natürlich ohne jegliche Rechtsgrundlage!
Deshalb brauchen wir eine existenzsichernde Mindestsicherung für alle Erwerbsfähigen. Das ist für unsere Region von besonderer Bedeutung. Denn in unserem Landkreis leben ca. 1/5 aller Menschen von Hartz-IV – vom Säugling bis zum Rentenalter. Wer gut bezahlte Arbeit finden will – gerade als junger Mensch – wandert häufig ab. Das wäre als solches noch nicht so problematisch, schließlich ist es heute ganz normal, dass Menschen ihr Lebensglück außerhalb des Landkreises finden: Aber aufgrund der Kaufkraftschwäche und damit auch des schwachen Angebots an attraktiven Stellen und den niedrigen Löhnen in unserer Region wandern Menschen in unsere Region nicht zu! Diesen Teufelskreis verödender Regionen müssen wir durchbrechen.
Dazu zählt neben einer existenzsichernden Grundsicherung auch gute Arbeit. Wesentlich hierfür ist ein gesetzlicher Mindestlohn von 10 €/Stunde, liebe Genossinnen und Genossen!
Von Arbeit muss man wieder leben können. Derzeit müssen 36%, also mehr als ein Drittel aller Hartz-IV-Haushalte im Landkreis trotz Erwerbstätigkeit monatlich zum Jobcenter und zusätzlich Grundsicherung beantragen. Das ist würdelos, das ist ein wirklicher Skandal! Und nebenbei muss Bundes-, Landes- und Kreishaushalt monatlich für diese Zahlungen geradestehen, derzeit der Bund mit jährlich 11 Milliarden, der Landkreis Wittenberg in Höhe von 8,8 Millionen jährlich aus Zahlungen für Miete an Aufstocker. Zum Vergleich: Der Kreishaushaltsentwurf 2013 weist derzeit ein Defizit von 1,2 Millionen aus. Allein durch Einführung eines Mindestlohnes wäre der Kreishaushalt plötzlich gedeckt. Denn ein Gutteil der Aufstocker müsste nunmehr anständig bezahlt werden!
Mit dem derzeitigen Bundestagsabgeordneten Petzold ist ein solcher gesetzlicher Mindestlohn jedoch – das beweisen die letzten Jahre – nicht zu machen. Er will weiter im Bundestag dagegen stimmen. Dies sollten wir – im Interesse unseres Landkreises und seiner Menschen – nicht mehr zulassen.
Zwei Anmerkungen seien mir allerdings zu diesem Thema auch erlaubt, wenn es um einen weiteren Direktkandidaten, nämlich Arne Lietz von der hiesigen SPD, geht. Da hat doch Arne Lietz bei seiner Wahl erklärt, er wolle sich für den Mindestlohn einsetzen – so weit, so gut. Volle Zustimmung und prinzipiell Grundlage einer Zusammenarbeit. Gleichzeitig tönt er jedoch – Ich zitiere: „Die LINKE kommt nicht in Regierungsverantwortung, deshalb sind das dann verschenkte Stimmen für den Mindestlohn“. Auch hier stelle ich die Fakten dagegen:
1. Die LINKE hat seit ihrem Bestehen im Bundestag Anträge zur Einführung eines Mindestlohns gestellt. Es war auch Engelbert Wistuba, damals sozialdemokratischer MdB aus unserer Region, der namentlich dagegen stimmte. Ich erinnere mich noch gut daran, als ich 2004 vor Einführung von Hartz IV durch die Schröder-Regierung mit Engelbert Wistuba in einer Podiumsdiskussion in der evangelischen Akademie stritt und darauf hinwies, dass diese Reform ohne begleitende Standards wie etwa den Mindestlohn oder ein reformiertes AÜG, das Gesetz, das die Zeitarbeit enorm ausweitete, alle Schleusen öffnen würde. Wistuba lehnte damals den Mindestlohn ab. Sowohl damals hatte rot-grün die Möglichkeit, ein Mindestlohngesetz einzuführen. Als auch hatte in der folgenden großen Koalition die SPD die Möglichkeit, ein Mindestlohngesetz zur Voraussetzung für einen Eintritt in die Regierung zu machen. Es gab von 1998 bis 2009 durchweg eine Mehrheit jenseits schwarz-gelb. Niemals hat die SPD einen solchen Mindestlohn eingeführt. Eher gilt doch: Die SPD war plötzlich dann für den Mindestlohn, wenn sie ihn tatsächlich nicht mehr einführen konnte, nämlich ab schwarz-gelb 2009. Und jetzt ist der damalige Wahlkreismitarbeiter von Engelbert Wistuba der Meinung, an der LINKEN scheitere ein Mindestlohn? Das ist schon dreist!
2. Auch schon wahlarithmetisch ist die Aussage von Lietz in unserem Wahlkreis hanebüchen. Oder drastisch gesprochen: Hier kläfft der Hund den Mond an: Die LINKE hatte 2009 immerhin fast doppelt so viele Stimmen wie die SPD, nämlich 18,4% zu 30,5%. Wenn also nur wenige tausend sozialdemokratische Wähler Wittenberg und Dessau taktisch wählen, dann geben sie der LINKEN ihre Stimme und verhelfen ihr so zum Direktmandat im Wahlkreis 70. Genau um diese von tiefsten Herzen sozialdemokratisch gesinnten Wähler will ich werben. Denn die Erfahrung der letzten Jahre lehrt: Wer wirklich sozialdemokratische Politik umsetzen will, muss die LINKE wählen, damit die SPD nicht an ihr vorbeikommt.
Zurück zu den Zielen, die ich im Wahlkreis in den Mittelpunkt stellen will, nochmals also zum Mindestlohn. Klar ist – es gibt ihn derzeit nicht, und so greifen sittenwidrige Löhne hier um sich, mit 2, 3 oder 4 Euro/Stunde, oder auch unter Missbrauch der Zeitarbeitsregeln, die rot-grün damals unter Clement uferlos ausgeweitet hat. Bekanntlich haben wir unter meiner Initiative in Zusammenarbeit mit dem Jobcenter begonnen, Ansprüche aus dieser sitten- oder gesetzeswidrigen Entlohnung überzuleiten und von den Dumping-Arbeitgebern zurückzufordern. Warum haben wir das gemacht? Weil wir damit im Landkreis zumindest in diesen Arbeitsverhältnissen faktisch eine Lohnuntergrenze eingeführt haben, zumindest das Rudiment eines Mindestlohns, allerdings natürlich nur auf Grundlage derzeitiger Gesetzesregelungen – nicht mehr, aber auch nicht weniger. Ich habe von Arne Lietz, aber auch von anderen Sozialdemokraten im Landkreis bisher hierzu nichts gehört – außer den – Entschuldigung für die Wortwahl – Blödsinn von der verschenkten Stimme. Von Ulrich Petzold und der CDU sowieso nicht.
Dafür hat Ulrich Petzold sich – so sagt er – dafür eingesetzt, dass das Modell der Bürgerarbeit nach dem Modellversuch im Landkreis nunmehr bundesweit eingesetzt wird. Ich bekenne hier: Ja, auch die LINKE setzt sich für ein Modell von Bürgerarbeit ein, ABER: Bürgerarbeit heißt für uns wiederum: volle Sozialversicherungspflicht und volle Lohngleichheit. Wir wollen ganz normale Arbeitsverträge. Genau dagegen aber hat sich Haseloff, Petzold und die CDU immer gewehrt: Sie wollte einen Dumpinglohn-Schattenbereich im öffentlichen Dienst. Doch das, was Petzold jetzt als sein Verdienst verkauft, ist vor wenigen Tagen vor dem Verwaltungsgericht Potsdam für den Landkreis Teltow-Fläming für rechtswidrig erklärt worden: Danach muss auch Bürgerarbeit nach Tarif bezahlt werden. Als direkt gewählter Bundestagsabgeordneter will ich mich mit meinen Kompetenzen dafür einsetzen, dass es auch im Landkreis – wie bundesweit – einen öffentlich geförderten Beschäftigungssektor, eben diese Bürgerarbeit, mit voller Sozialversicherungspflicht und Tariflohn gibt.
Ein weiterer Schwerpunkt meiner Tätigkeit wird sein, den bestehenden Investitionsstau des Kreises gegenüber der Bundesebene zu thematisieren.
Allein bei uns im Kreis sind es 10-20 Millionen, die für den Erhalt der Straßen und öffentlichen Einrichtungen aufgewendet werden müssten. Eine solide Finanzausstattung für Kommunen und Kreise ist unerlässlich. Das betrifft gleichermaßen Infrastrukturprojekte wie die Ost- und Nordumfahrung Wittenberg, die allerdings weiter auf sich warten lassen. Wenn in diesem Zusammenhang Ulrich Petzold beklagt, dass das an fehlender Planfeststellung und nicht am Bund liegt, dann sage ich hier laut und deutlich: Dafür ist das Land im Auftrag des Bundes verantwortlich und Herr Petzold wäre gut beraten, mit seinen Parteifreunden im Magdeburg diese Planungen aktuell, zügig weiter voranzubringen, um endlich Baurecht zu schaffen. Das ist ein schweres Versäumnis: Das Land verfährt nach dem Motto: Verzögern, Vertrösten, Verschieben!
Generell geht es mir allerdings auch um eine veränderte Form der Politik: Politik für den Bürger. Wer die beiden letzten Kommentare in der MZ vom Freitag gelesen hat, wird vielleicht auch gelesen haben, dass der Innenminister sich verbeten hat, Termine für Anliegen von Bürgern in seinem Haus „terminlich diktieren“ zu lassen. Zutreffend nennt das die MZ „Arroganz der Macht“. Ich sehe das genauso. Und Maßstab meines Handelns wie auch das der LINKEN soll sein. Niemals diese Arroganz der Macht, es geht immer um die Interessen von Menschen, von Bürgern!
Übrigens: Heute ist in der MZ ebenfalls zu lesen, dass der Stadtrat von Oranienbaum-Wörlitz eine dezentrale Unterbringung von Asylbewerbern gefordert hat. Da hat er mich, das hat er uns auf unserer Seite. Wir stehen für eine Menschenrechtspolitik nicht nach Kassenlage, sondern an den Interessen der Menschen. Für humane und integrative Lösungen habe ich mich in der Vergangenheit engagiert, und das werde ich auch weiterhin tun.
Liebe Genossinnen und Genossen, liebe Freunde!
Wir sind im Landkreis Wittenberg ein ernstzunehmender Faktor. Wir stellen große Fraktionen in den Stadtparlamenten und im Kreistag. Und wir stellen den Landrat. Wer hätte das vor 2007 gedacht? Und warum sollten wir nicht also auch den örtlichen Bundestagsabgeordneten stellen? Unser Nachbarkreis Anhalt-Bitterfeld hat es uns ja bereits 2009 vorgemacht. Und in unserem eigenen Wahlkreis fehlten uns weniger als 7.000 Stimmen. Wenn wir kämpfen, mit klaren linken praktisch umsetzbaren Reformvorschlägen, solche, die die Lebenslage der Menschen verbessern und nicht verschlechtern, werden wir es auch schaffen! Ich werbe um Euer Vertrauen für die heutige Nominierung, und ich werbe darum, dass wir gemeinsam den Wahlkampf bestreiten.
In diesem Sinne – lasst uns heute damit beginnen! Danke!